Von Möwen und Mühlen
Bei einer Radtour ins Hinterland zeigt die Ostseeinsel, was sie alles zu bieten hat. Rund ums Achterwasser gibt es beschauliche Dörfer, Kunst, Kultur und viel Engagement.
„16 Prozent“, sagt der Mann vom dem Camper-Van nebenan und macht eine bedeutungsvolle Pause. 16 Prozent – so steil sind zwei der Anstiege auf dem Weg entlang der Ostseeküste bei Ückeritz auf Usedom. Hinter dem sportlichen Herrn lehnt ein Rad am Wohnmobil. „Es geht schon, man kommt da schon hinauf. Aber es ist viel steiler, als ich erwartet hatte“, sagt der Radler aus Gera.
Wer glaubt, dass die Seebäder an der Usedomer Ostseeküste durch eine flache Promenade verbunden sind, auf der man locker entlang bummeln könnte, der wird sich wundern. Es geht teils heftig rauf und runter.
Usedom – ein Blick ins Internet und schon scheint alles klar: Badeparadies an der Ostsee. Sonne, Strand und Meer. „Gönn dir Meer“, so lautet der Werbeslogan, der ganz oben auf der Homepage des Tourismusverbandes prangt. Aber Usedom ist viel mehr: Kleinkunst, Kultur und viel bürgerliches Engagement – das merkt man, sobald man sich etwas auf die Insel und die Menschen einlässt und auch das Hinterland erkundet.
Klar: die Kaiserbäder sind bekannt. Bansin, Heringsdorf und Ahlbeck liegen nicht weit auseinander an der Küste. „Wie Perlen an einer Kette an der längsten Promenade Europas“ wirbt der Tourismusverband. Als wir dort entlang radeln, freue ich mich über die Waldpassagen, die die Ferienorte trennen, und über die Möwen, die über den Sandstränden kreisen. Auf den Promenaden herrscht reges Treiben. In Bansin gibt es schon am späten Vormittag Gedränge, und auf den schicken Terrassen der Hotels sitzen Feriengäste bei Sekt und gekühltem Weißwein. Sehen und gesehen werden lautet die Devise. „Prösterchen“ möchte man ihnen zurufen. Wir aber biegen eilig ab ins Hinterland und lachen, während wir den Zungenbrecher „klassizistische Seebäder“ üben.
Auf kleinen Nebenstraßen und sandigen Feldwegen geht es zwischen großem und kleinem Krebssee hindurch. Das Mountainbike war die richtige Wahl, stelle ich schnell fest. Wer Usedom für eine flache Insel hält, der irrt sich gewaltig. Auch wenn keine großen Höhenunterschiede zu überwinden sind, geht es doch ständig bergauf und bergab.
Im Kirchengarten gibt es Kunst zu bestaunen
Natur pur, Ruhe und Abgeschiedenheit entlohnen für die Mühen. Und dann kommen wir nach Benz.
Die Pause lohnt sich. Im Garten der kleinen Kirche St. Petri, gibt es Kunst zu bestaunen. Eine „Baumharfe“ von Wilhelm Barthels steht dort. Ein großer Baumstamm, bespannt mit dicken Stahlseiten, an einem Ende versehen mit einem Wirbelkasten, wie bei einer Laute oder einer Gitarre. Seit 2014 steht das Objekt dort. Barthels weist mit seinen Baumkunstwerken darauf hin, dass in Konzertsälen und Kirchen „ganze Wälder“ in den Dienst der „himmlischen Harmonien“ gestellt wurden. Auf einer Infotafel ist auch ein Link zu einer Homepage angebracht – für alle, die noch mehr wissen wollen. Noch mehr Kunst gibt es gleich nebenan. Dort präsentiert Susanne Werth in ihrer Galerie Bilder und Skulpturen.
Wie wichtig bürgerliches Engagement ist, wird bei der Holländermühle am Dorfrand deutlich. Bis in die zweite Hälfe des vergangenen Jahrhunderts wurde die Mühle produktiv genutzt. Nun kümmert sich ein Verein um den Erhalt. Am nächsten Tag ist Mühlentag. Die Vereinsmitglieder stellen Pavillons auf. Eine Frau macht Blumenschmuck zurecht und erzählt dabei von den Mitgliedersorgen des Vereins. Zu wenig junge Menschen engagieren sich für die Mühle, klagt sie. Aber ohne Nachwuchs drohe das ganze Projekt zu scheitern.
Und das wäre wirklich schade. Die Mühle, die aus den 1830er Jahren stammt, hat eine interessante Vergangenheit. Sie kam sogar schon ins Kino. Im Film Effi Briest ist sie als Kulisse zu sehen.
Und das war nicht das erste Mal, dass sie zum Kunstobjekt wurde. 1910 hat sie der Maler und Bauhaus-Meister Lyonel Feininger als Motiv für eines seiner Bilder genutzt.
Lyonel Feiniger ist eine Radtour gewidmet
1973 kaufte der Maler Otto Niemeyer-Holstein das Gebäude und nutzte sie als Atelier und Ausstellungsraum. Dadurch sei ein zweckentfremdeter Umbau verhindert worden, erklärt der Mühlenverein Mecklenburg-Vorpommern auf seiner Internetseite.
Ein paar Kilometer weiter gibt es gleich die nächste Mühle: Die Bockwindmühle bei Pudagla. Sie steht auf einer kleinen Anhöhe. Zum Mühlentag gibt es dort ebenfalls ein Fest. Livemusik, Kaffee, Kuchen, Grillgut und Bier gehören dazu und Stände mit Kunsthandwerk, Käse und Wurst aus der Region. An den Mühlenflügeln sind Segel gesetzt, und ein Fachmann erklärt, wie dort früher Korn zu Mehl gemahlen wurde: ein Knochenjob. Wer durchs Usedomer Hinterland radelt, stößt immer wieder auf den Namen Feininger. Es gibt sogar eine „Feininger Radtour“. Sie führt teils auf sehr entlegenen Strecken über die Insel und verbindet an 40 Stationen 80 künstlerische Motive.
Für ein Bad ist es nicht weit zum Ostseestrand
Wald, Wiesen, Seen, Bodden und Achterwasser und kleine Dörfer mit Namen wie Morgenitz, Mellenthin und Sellin prägen das Hinterland der Insel. Dazwischen gibt es immer wieder steile Hügel. Wer die Landschaft mag und sich an Kleinkunst, Keramikläden und selbstgemachtem Quittengelee freuen kann, der kann viel entdecken auf der Insel.
Beim Hofladen an der schönen Kopfsteinstraße in Morgenitz gilt Selbstbedienung auf Vertrauensbasis. Es gibt eine kleine Kasse, in die steckt man das Geld für die Ware, die man mitnimmt. Als wir besagten Quittengelee kaufen wollen, fehlt uns das Kleingeld. Gudrun fragt kurz entschlossen zwei Passanten, ob sie wechseln können. Das klappt. Miteinander geht vieles besser.
Da gerät die Küste beinahe in Vergessenheit. Aber für ein Bad in der Ostsee ist es ja nicht weit. Die langen Sandstrände sind auch jenseits der Kaiserbäder schön – und weit weniger trubelig.
Früh morgens ist es für mich ein ein besonderer Genuss. Der Strand ist dann so gut wie menschenleer. Bei Ückeritz erinnern nur ein paar Paletten-Bänke und Pavillons sowie die hölzerne Bar des Strandclubs Havanna Beach daran, dass auch hier Partys gefeiert werden.
Aber kurz nach Sonnenaufgang gehört die Küste noch den Möwen, die über dem Meer kreisen und sich auf den Buhnen niederlassen, um noch ein wenig zu dösen oder das Gefieder zu putzen - und den Nebelkrähen, die eilig über den feinen, hellen Sand laufen, nach Futter picken und dabei scheu immer ein wachsames Auge auf ihre Umgebung haben.
Am meisten überrascht hat mich an Usedom die Vielfalt der Insel. Bekannt waren mir vor der Reise vor allem die langen Strände und die Seebäder. Dass es im Hinterland so schön gepflegte Dörfer, so viel Kunst und so viel bürgerliches Engagement gibt, durfte ich unterwegs kennenlernen.
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https://de.wikipedia.org/wiki/Benz_(Usedom)
https://www.muehlenverein-mv.de/muehlenstandorte/vorpommern-ruegen/kulturmuehle-benz
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