HArzer Geschichte zum Anfassen
Outdoor und Geschichte – manchmal stolpert man mitten rein in die Relikte vergangener Zeiten, wenn man draußen unterwegs ist. Beeindruckend erleben kann man das an der Schwedenschanze, einige Kilometer südlich von Stiege im Harz.
Ein paar Hundert Meter von der Bundesstraße 242 entfernt im Wald findet man dort die Rekonstruktion einer Verteidigungsanlage aus der Zeit des siebenjährigen Krieges (1756 – 1763).
Fast 400 Meter lang sind die Wälle der Schwedenschanze. Etwa zwei Meter tiefe Gräben sind davor gezogen. Mitten im Wallsystem gibt es eine eingeebnete Fläche: den Kanonenplatz.
Eine Schutzhütte steht auf dem Platz, ein paar Spanische Reiter sind aufgebaut und hinter einer Holzpalisade ist sogar der hölzerne Nachbau einer Kanone platziert.
Die Anlage ist gut gepflegt. Als wir auf unserer Wanderung dorthin kommen, fühle ich mich sofort ein Stück weit in die Geschichte zurückversetzt – obwohl schon wegen der Holzkanone gleich auf den ersten Blick deutlich wird, dass es sich um eine Rekonstruktion handelt.
Was stellt die Anlage dar?
Wer hat sie gebaut? Und warum?
Und wer hat sie nun rekonstruiert? Und warum?
Roland Pilz kennt die Antworten. Der Stieger leitete die Arbeiten für die Rekonstruktion der Anlage in den Jahren 2010 bis 2013. Er verfasste auch die ausführlichen Texte für die Info-Tafeln, die am Kanonenplatz aufgestellt sind. Das Projekt entstand als Maßnahme der Kommunalen Beschäftigungsagentur und der Arbeitsförderungsgesellschaft Harz.
Rekonstruktion nach historischen Vorbildern
Hoch oben im Harz, nahe der Bundesstraße 242 sollte ein Freilichtmuseum entstehen. Durch die Rekonstruktion der alten Verteidigungsanlage sollte der Ort touristisch aufgewertet werden. Mit zehn Mitarbeitern habe er sich ans Werk gemacht, erzählt Roland Pilz. Die Grundform der Schwedenschanze mit dem Kanonenplatz, den Wällen und den Gräben sei ja noch existent und erkennbar gewesen. „Da wurde auch nichts verändert“, sagt Pilz.
Bei der Ausgestaltung orientierten er und sein Team sich teils an allgemeineren Beschreibungen aus der Zeit des Siebenjährigen Krieges. Nach Vorlagen aus der Zeit stellten sie ein Pulverhaus auf dem Platz auf. Auch die Spanischen Reiter, die dort zu sehen sind, sind gängige Hindernisse, mit denen man damals Angreifer wirkungsvoll stoppen konnte. „Ich habe mir zu dem Thema Geschichtsbücher angesehen“, erklärt Pilz. Schließlich habe man noch die Kanone aus Holz gebaut und so postiert, dass sie in die Richtung zeigte, aus der damals die französischen Truppen erwartet wurden.
Ein altes Tagebuch diente als Quelle
Und noch mehr: Das Pilz-Team flocht Schanzkörbe nach historischem Vorbild und füllte sie mit Steinen. Hinter solchen Körben konnten Soldaten früher bei einem Angriff Deckung suchen.
Schanzkörbe wurden auch um die Kanone herum positioniert. Als der Platz 2019 überarbeitet wurde, seien die Körbe aber entsorgt worden: „Sie waren im Laufe der Zeit einfach verrottet“, berichtet Pilz. Man habe statt dessen Holzpalisaden vor der Kanone errichtet. „Die passen aber nicht in die Zeit des Siebenjährigen Krieges“, schränkt der Fachmann ein.
Pilz arbeitete sich offenbar intensiv in das Thema ein. Als Quelle zog er unter anderem das Tagebuch des Göttinger Professors Andreas Georg Wähner aus der Zeit des Siebenjährigen Krieges heran. Das Dokument ist im Internet veröffentlicht.
Die Schwedenschanze sei damals ein zentraler taktischer Punkt gewesen, betont Pilz im Gespräch. „Die alte Harzstraße, die an dem Platz vorbeiführt, habe eine wichtige Verbindung dargestellt. Der Kanonenplatz bilde praktisch den höchsten Punkt weit und breit. Von dort aus habe man die Straße einsehen und auch beschießen können.
Ihren Zweck hat die Anlage, die auch Selkenfelder Schanze genannt wird, wohl erfüllt. Das geht aus einem Video hervor, das anlässlich der Eröffnung des Platzes 2013 gedreht wurde und auf U-Tube zu sehen ist. Nachdem das Braunschweigische Landjäger-Chorps die Feldschanzen angelegt habe, wagten die Franzosen keinen Angriff mehr, heißt es dort. Die Anlage hoch im Harz hat somit auch wichtige Bedeutung für die Braunschweigische Geschichte.
Wahrscheinlich gab es noch eine ältere Anlage
Und geklärt ist auch die Frage, ob es braunschweigische oder hannoversche Soldaten waren, die die Schanze damals besetzten. Die Braunschweiger kämpften in der Armee der Hannoveraner.
Ob es an Stelle des Kanonenplatzes noch eine ältere Anlage aus der Zeit des 30-jährigen Krieges gab, ist indes nicht gesichert. Das betont Dr. Oliver Schlegel von der Unteren Denkmalschutzbehörde des Landkreises Harz in dem genannten Video. Archäologische Untersuchungen dazu gebe es nicht. Dass eine ältere Anlage bestand, sei allerdings „relativ wahrscheinlich“.
Als wir zum Kanonenplatz kommen, ist die Anlage beeindruckend gut gepflegt. Das Gras auf den Wällen ist kurz geschnitten, die Gräben sind sauber und gut begehbar. Um den Erhalt kümmert sich im Auftrag des Tourismusbetriebs der Landschaftspflegeverband, berichtet die Tourist-Information der Stadt Oberharz am Brocken.
Für Harzwanderer ist die Schanze mit dem Kanonenplatz ein ungewöhnliches und interessantes Ziel. Für Wandernadel-Freunde lohnt sich der Weg sogar doppelt. Am Kanonenplatz gibt es einen Sonderstempel, und wenige hundert Meter weiter, an der Wüstung Selkenfelde kann man den Stempel Nummer 55 ins Sammelheft drücken.
Doppelt interessant ist ein Besuch des Kanonenplatzes bei Stiege. Man wird eingeladen zu einem Ausflug in die Geschichte des Harzes, und man erfährt auch noch, wie die Harzer heute ihre Region für sanften Tourismus attraktiv gmachen. Mir hat Roland Pilz viel über das Freilichtmuseum und seine Entstehung erzählt. Ohne seine Hilfe hätte ich den Bericht nicht schreiben können. Unterstützt wurde ich auch vom Tourismusverband Harz und der Tourist-Information der Stadt Oberharz am Brocken. Vielen Dank dafür.
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